As Long As You're Here

PC, Shadow PC
Manchmal braucht es nicht mehr als eine Stunde ..

Am 28. Oktober 2025 erschien die Simulation des Entwicklers und Publishers Autoscopia Interactive, bei dem du den Alltag einer demenzkranken Frau erlebst. In meiner Review erzähle ich dir mehr.

Story und Handlung: 

In As Long as You’re Here schlüpfst du in die Rolle von Annie, einer Frau, die erste Anzeichen von Demenz zeigt. Alles spielt sich aus der Ich-Perspektive in einem Haus ab, das gleichzeitig Zufluchtsort und Labyrinth ist. Es gibt keine Rätsel oder Aufgaben zu lösen, nur einfache, alltägliche Handlungen wie bspw. die Pflanzen gießen, aus dem Fenster schauen, sich durch die Räume bewegen, während sich die Jahreszeiten ohne Vorwarnung ändern oder gemütlich auf dem Sofa sitzen und Stricken. Das Endziel von As Long as You’re Here ist es, den Stammbaum der Familie zu rekonstruieren. Dies ist der Vorwand, um dir die Geschichten der Familienmitglieder von Annie zu erzählen, ähnlich wie es bei What Remains of Edith Finch der Fall war. Zunächst scheint alles ganz normal zu sein. Dann bemerkt man jedoch, dass etwas nicht stimmt: ein Gegenstand, der vorher nicht da war, eine Stimme aus einem anderen Zimmer, ein Tag, der viel zu schnell zu Ende zu gehen scheint. Annie bemerkt das nicht, aber du schon. Und genau hier beeindruckt As Long as You’re Here. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich mich für sie erinnert habe. Wie ich Dialogfragmente und kleine Details zusammengetragen habe. Es ist seltsam, das zu sagen, aber das Spiel versetzt dich in die entgegengesetzte Position zur Protagonistin: Sie vergisst, du behältst. Es ist eine Umkehrung, die dir das wahre Gewicht der Erinnerung bewusst macht. Nicht als abstraktes Konzept, sondern als Verantwortung. Jeder Satz, jede Stille bekommt eine andere Bedeutung, wenn man merkt, dass man der Einzige ist, der sich daran erinnert. Und so lässt dich As Long as You're Here nach und nach in die Krankheit eintauchen, nicht indem es sie erklärt, sondern indem es dich sie erleben lässt. 

Man spürt bei jeder Entscheidung Respekt

Optisch und akustisch ist das Spiel einfach, aber nicht schlecht. Annies Haus ist eine eigenständige Figur: lebendig, veränderlich, manchmal einladend und manchmal seltsam fremd. Die Lichter wechseln, Gegenstände verschieben sich, sodass du dich als Spieler mit frischem und klarem Gedächtnis fragst: „Wo ist denn die Kaffeetasse geblieben, eben war sie doch noch da?“. Der Sound ist subtil, es gibt keine aufdringliche Musik, nur Haushaltsgeräusche, Schritte, den Wind, der durch ein angelehntes Fenster hereinweht. Es ist ein alltägliches Sounddesign. Und dann gibt es noch die Symbole, die Metaphern, die keiner Erklärung bedürfen, wie der Wechsel der Jahreszeiten, das Fließen des Wassers, die Zeit, die vergeht, ohne dass es jemand bemerkt. Wenn man genau hinschaut, versteht man die Geschichte sofort, aber das ist kein Nachteil. Es ist, als wüsste man schon, wie ein Lied endet, und hört es sich trotzdem an, nur um diese Melodie noch einmal zu hören. Es ist sehr schwierig, über eine Krankheit wie Demenz zu berichten, ohne in Mitleid zu verfallen. Hier hingegen spürt man bei jeder Entscheidung Respekt. Man hat nie das Gefühl, dass jemand einem etwas „beibringen“ oder einem eine Emotion aufzwingen will. Alles ist mit einer Sorgfalt geschrieben, die Raum für Stille lässt, und in dieser Stille wird die Geschichte noch stärker. Annie ist kein Symbol, sie ist ein Mensch. Und das Spiel nutzt sie nicht, um zu rühren, sondern begleitet sie. Und wenn man spielt, begleitet man sie schließlich auch. Man ist weder ihr Retter noch ein außenstehender Beobachter, man ist einfach da und erlebt diese Zeit gemeinsam mit ihr. In einer Branche, in der Gefühle oft so lange verstärkt werden, bis sie zur Rhetorik werden, ist diese Zurückhaltung eine Seltenheit und trotzdem hat mich das Spiel unglaublich berührt und zu Tränen gebracht. 

Das Tempo ist langsam, aber passend

Eine Stunde, das reicht, um alles zu erzählen. Als ich zum Abspann kam, schaute ich mir die Aufzeichnung überrascht an. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas „beendet“ zu haben, sondern es erlebt zu haben. Trotz der technischen Einfachheit funktioniert alles. Keine Bugs, keine Momente, in denen das Eintauchen unterbrochen wird. Das Tempo ist langsam, aber passend zu dem, was erzählt wird. Es ist ein Walking Simulator, aber er fordert dich auf, einzutauchen und Annie auf ihrem Weg zu helfen. Jedes Element im Spiel, Grafik, Bewegung, Stille, ist für diese Geschichte notwendig. Kein Teil scheint nur um seiner selbst willen da zu sein. Alles dient dem Erlebnis. Nachdem ich As Long as You’re Here zu Ende beendet hatte, habe ich viel über das Konzept der Erinnerung nachgedacht. Es hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, dass Erinnern nicht nur bedeutet, die Vergangenheit zu bewahren, sondern auch die Verbindung zu denen, die man liebt, aufrechtzuerhalten. Annie vergisst, aber ich erinnere mich für sie. Und in dieser Geste liegt etwas zutiefst Menschliches. As Long as You’re Here hat mich daran erinnert, dass Erinnerung niemals nur individuell ist. Sie wird geteilt, sie besteht aus Verbindungen. Und wenn eine dieser Verbindungen zerbricht, kann man sich entscheiden, dem anderen so gut wie möglich zu helfen. Solche Erfahrungen sind wichtig, besonders heute. Sie zeigen, dass Videospiele ein Mittel sein können, um nachzudenken, Empathie zu lehren und uns Realitäten verständlich zu machen, die uns sonst fernbleiben würden.

Gameplay:

Trailer:

 


Fazit

As Long as You're Here handelt von Erinnerung, aber auch von Präsenz. Es erinnert einen daran, dass es das Wichtigste sein kann, einfach nur da zu sein, auch wenn man schweigt. Ich weiß nicht, ob Annie sich an mich erinnern wird, aber ich werde mich an sie erinnern. Ich werde mich an ihr Haus erinnern, an die Außenwelt, die sich von einem Moment auf den anderen mit den Jahreszeiten veränderte, an die Stimmen derer, die sie besuchten, an Max dem Bären und an dieses Gefühl der Vertrautheit, das langsam verschwindet, bis alles neu und unbekannt wird und die Erinnerungen zu verblassen beginnen. Wir leben in einer Zeit, in der es in Videospielen fast immer um Eroberung, Überleben und Macht geht. Doch manchmal sollten wir auch innehalten und nachdenken. Darüber nachzudenken, mehr Zeit mit den Menschen zu verbringen, die wir lieben, mehr zuzuhören, die schönen, aber auch die schlechten Momente zu teilen und aufzuhören, immer alles auf morgen zu verschieben. Denn letztendlich bedeutet Erinnern auch, das Beste, aber auch das Schlechteste von uns in anderen am Leben zu erhalten. Denn eines Tages werden vielleicht sie es sein, die sich an uns erinnern, solange sie können, solange wir hier sind.
Manchmal braucht es nicht mehr als eine Stunde ..


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